Römische Geschichte von Ammianus Marcellinus
Buch 15
IV. Der Einfall
der Sarazenen und die Sitten dieses Volkes
1. Zu dieser Zeit
zogen auch die Sarazenen, ein Volk, das man weder zu Freunden noch zu Feinden
haben sollte, durch das Land und plünderten, wenn sie etwas fanden, es in einem
Augenblick wie räuberische Falken, die, wenn sie von oben eine Beute erblicken,
sie mit einem schnellen Sturzflug erbeuten, oder, wenn sie bei ihrem Versuch
scheitern, nicht lange verweilen.
2. Und obwohl ich mich erinnere, bei der Schilderung des Werdegangs des Prinzen Markus und ein- oder zweimal danach über die Sitten dieses Volkes gesprochen zu haben, will ich doch jetzt kurz einige weitere Einzelheiten über sie aufzählen.
3. Bei diesen Stämmen, die ursprünglich von den Katarakten des Nils und den Grenzen der Blemmyae abstammen, sind alle Männer Krieger gleichen Ranges; sie sind halbnackt, bis zur Taille in bunte Mäntel gekleidet und überrennen mit Hilfe von schnellen und tatkräftigen Pferden und flinken Kamelen verschiedene Länder, sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten.
Kein Mitglied ihrer Stämme nimmt jemals einen Pflug in
die Hand oder kultiviert einen Baum oder sucht Nahrung durch die Bearbeitung
des Landes; sondern sie wandern ständig über verschiedene und ausgedehnte
Bezirke, haben keine Heimat, keinen festen Wohnsitz oder Gesetze; sie können
auch nicht lange in ein und demselben Klima bleiben, kein Bezirk oder Land
gefällt ihnen auf Dauer.
4. Ihr Leben ist
ein ständiges Umherziehen; ihre Frauen werden auf besondere Abmachung für eine
bestimmte Zeit angeheuert; und damit das Geschäft den Anschein einer Ehe
erweckt, bietet die vorgesehene Frau unter dem Namen einer Mitgift ihrem Mann
einen Speer und ein Zelt an, mit dem Recht, ihn nach einem bestimmten Tag zu
verlassen, wenn sie sich dazu entschließen sollte. Und es ist unvorstellbar,
mit welchem Eifer sich die Menschen beiderlei Geschlechts den ehelichen
Vergnügungen hingeben.
5. Solange sie
aber leben, wandern sie in so ausgedehnten und fortwährenden Wanderungen umher,
dass die Frau an einem Ort heiratet, an einem anderen ihre Kinder zur Welt
bringt und sie in der Ferne von beiden Orten aufzieht, ohne dass ihr jemals
Gelegenheit gegeben wird, in Ruhe zu bleiben.
6. Sie leben alle
von Wildbret und ernähren sich außerdem von einem großen Überfluss an Milch und
vielen Kräutern sowie von allen Vögeln, die sie fangen können. Und wir haben
sehr viele von ihnen gesehen, die weder Getreide noch Wein zu essen wissen.
7. So viel zu
diesem höchst boshaften Volk. Kehren wir nun zu dem Thema zurück, das wir uns
ursprünglich selbst vorgeschlagen hatten.
© by Ingo Löchel
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